Wirtschaftsnobelpreis 1987: Robert Merton Solow

Wirtschaftsnobelpreis 1987: Robert Merton Solow
Wirtschaftsnobelpreis 1987: Robert Merton Solow
 
Der amerikanische Ökonom erhielt den Nobelpreis für »seine Arbeiten über wirtschaftliche Wachstumstheorien«.
 
 
Robert Merton Solow, * New York 23. 8. 1924; 1954-68 und 1969-95 Professor für Ökonomie am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (Mass.), 1968-69 Gastprofessur an der University of Oxford, 1975-80 Mitglied und später Vorsitzender des Board of Directors der Federal Reserve Bank of Boston; Begründer der neoklassischen Wachstumstheorie.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Wenn Ökonomen vom Wachstum einer Volkswirtschaft sprechen, wird auf die Steigerung einer Größe im Zeitverlauf verwiesen. Eine bekannte Größe ist das Sozialprodukt, unter dem die Summe aller produzierten Güter eines Landes verstanden wird. Steigt diese Produktion, so lassen sich die prozentualen Erhöhungen im Vergleich zu den Vorjahreswerten als Wachstumsraten interpretieren. Im ökonomischen Sprachgebrauch »wächst« die Wirtschaft.
 
 Ein Beitrag zur Wachstumstheorie
 
Die Wachstumstheorie widmet sich der Untersuchung von Faktoren, die maßgeblich die Entwicklung des Sozialprodukts im Zeitablauf beeinflussen. Mit dem Aufsatz »Ein Beitrag zur Wachstumstheorie« (1956) bereicherte Solow die neoklassische Wachstumstheorie um ein wegweisendes Modell zur Untersuchung dieser Thematik. Im Mittelpunkt seines Ansatzes steht die Frage, ob und unter welchen Bedingungen industrialisierte, marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaften in der Lage sind, stetig zu wachsen.
 
Solows Forschung ermittelt ein komplexes Geflecht der wechselseitigen Beeinflussung zwischen den Ersparnissen, Investitionen und der Entwicklung des Sozialprodukts. Entscheidungsträger sind zum einen die Unternehmen, die den Einsatz von Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital — dazu gehören etwa Maschinen und Fabrikgebäude — bestimmen, und zum anderen die Haushalte, die mit ihrer Aufteilung der Einkommen auf Konsum und Ersparnis die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen bestimmen. Denn die Ersparnisse werden in Investitionen in neue Produktionsmittel überführt und vergrößern, wenn sie über die reinen Ersatzinvestitionen hinausgehen, das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft. Das Sozialprodukt beziehungsweise die Produktion steigt, ein ökonomisches Wachstum entsteht.
 
Das Sozialprodukt kann einerseits durch den vermehrten Einsatz von Arbeit und Kapital steigen, andererseits aber auch durch technischen Fortschritt, der sich in verbesserten Maschinen und Produktionsverfahren niederschlägt. Da sowohl das Kapital als auch Arbeitskräfte nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, wird der technische Fortschritt zur entscheidenden Größe. Stimmen Angebot und Nachfrage der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bei herrschenden Zinsen und Löhnen überein, so sind Erhöhungen des Sozialprodukts nur noch durch Produktivitätssteigerungen und damit über technische oder organisatorische Neuerungen möglich.
 
Wachstum im Sinn einer Steigerung des Sozialprodukts ist aber nicht die eigentliche Absicht der Wirtschaftspolitik. Es ist nur ein Teilschritt auf dem Weg zum eigentlichen Endziel, der Verbesserung der Versorgung beziehungsweise der Konsummöglichkeiten der Bevölkerung. Dieses wird durchdie Größe Pro-Kopf-Einkommen, gebildet aus dem Quotienten Sozialprodukt zu Bevölkerungszahl, gemessen. Wird die Erhöhung des Sozialprodukts durch den erhöhten Einsatz an menschlicher Arbeitskraft, beispielsweise ausgelöst durch einen Wachstumsschub der Bevölkerung, verursacht, so sind dadurch nicht zwangsläufig auch die Konsummöglichkeiten der Bevölkerung verbessert worden. Dem Anwachsen der zur Verfügung stehenden Güter steht nun eine größere Bevölkerung gegenüber: Das Pro-Kopf-Einkommen verändert sich unter Umständen nicht oder sinkt sogar. Wird der Anstieg des Sozialprodukts aber durch den technischen Fortschritt oder mehr Investitionen ausgelöst, während die Bevölkerungzahl konstant bleibt, ist ein Anwachsen des Pro-Kopf-Einkommens zu verzeichnen. Die Produktivität der Volkswirtschaft wurde erhöht.
 
Diese Erkenntnisse spielen eine wichtige Rolle für die Betrachtung der Entwicklungsländer. Der Großteil dieser Länder wies in den letzten Jahren steigende Sozialprodukte auf. Die Zuwächse waren aber oftmals zu gering, um die ebenfalls stark wachsende Bevölkerung auf gleich bleibendem Niveau zu versorgen. Um die Konsummöglichkeiten der Bevölkerung zu erhöhen, muss folglich das Wachstum der Bevölkerung unter dem Wachstum des Sozialprodukts liegen; nur dann steigt auch das Pro-Kopf-Einkommen.
 
Das Solow-Modell verdeutlicht das Zusammenspiel der einzelnen Elemente einer Volkswirtschaft. Die Analyse der Wechselwirkungen der einzelnen Faktoren ermöglicht die Erklärung der äußerst unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungen einzelner Länder, sie liefert zugleich aber auch Ansätze zur Angleichung der weltweit sehr unterschiedlichen Sozialprodukte.
 
 Erweiterungen des Solow-Modells
 
Mit der Berücksichtigung des Humankapitals — den Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen der Beschäftigten — als einem bis dahin unterschätzten Produktionsfaktor wurde das Solow-Modell wesentlich erweitert. Demnach ermöglicht ein hohes Humankapital, das aufgrund einer besseren Ausbildung der Arbeitskräfte in den Industrienationen, nicht aber in den Entwicklungsländern vorhanden ist, den Einsatz effizienter und moderner Fertigungsverfahren.
 
Das erweiterte Solow-Modell ermöglicht die Erklärung von etwa 80 Prozent der Unterschiede in den Pro-Kopf-Einkommen der Länder. Es identifiziert somit die wichtigsten Faktoren für das Wachstum von Volkswirtschaften und erklärt die Prozesse der wechselseitigen Beeinflussung.
 
Angeregt durch die Arbeiten Solows entstand eine Flut empirischer Untersuchungen zur Schätzung der Produktionszusammenhänge in verschiedenen Ländern. Ebenso wurde die Erforschung des technischen Fortschritts und dessen Rolle in einer Volkswirtschaft intensiver verfolgt. Solow selbst verfeinerte später sein Modell, indem er das Kapital nicht nur als quantitative Größe berücksichtigte. Um ein korrekteres Bild von der Leistungsfähigkeit und dem Wachstumspfad einer Volkswirtschaft zu erhalten, entwickelte er das so genannte Vintage-Modell, das eine qualitative Unterscheidung des Sachkapitals anhand des Alters der einzelnen Maschinen vornimmt. Er trug damit dem Umstand Rechnung, dass technischer Fortschritt erst durch die Umsetzung in neue, verbesserte Maschinen und Verfahren realisiert werden kann.
 
Solow beschäftigte sich in weiteren Arbeiten mit der Ressourcenökonomie und der Fragestellung, wie Wachstum in Anbetracht der Begrenztheit unserer natürlichen Ressourcen zu gestalten und welche Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten seien. In den letzten Jahren widmete er sich außerdem verstärkt den Bereichen Arbeitslosigkeit, Inflation und Kapitaltheorie sowie der aktuellen Wirtschaftspolitik.
 
A. Olbrisch

Universal-Lexikon. 2012.

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